Holzschnitzer aus Marienberg/Sa.
* 16.07.1889; † 28.02.1974
Rudolf Kunis war Autodidakt.
Bereits in früher Kindheit hatte er Freude am figürlichen Gestalten. Erste freie Scherenschnitte von Tieren und Menschen stammen aus dem Jahr 1895. Sein Wunsch Kunstmaler zu werden, scheiterte zunächst daran, dass aufgrund der einfachen familiären Verhältnisse eine künstlerische Ausbildung oder der Besuch einer höheren Schule nicht möglich war.
Fehlende Kenntnisse in Anatomie, Farben- und Formenlehre u.a. eignete er sich selbst an. Zahlreiche Aufzeichnungen und Skizzen geben Zeugnis von beharrlichem Studium und gewissenhaften Beobachtungen der Natur.
Seine große Begabung und unendlich viel Fleiß befähigten ihn schließlich dazu, außerordentliche Werke zu schaffen. Zunächst waren es vorwiegend Scherenschnitte mit Motiven aus Natur und Heimat.
Da diese Arbeiten vorwiegend dem "Broterwerb" dienten und verkauft wurden, sind nur noch wenige Stücke aus jener Zeit vorhanden.
Für seine persönliche Buchführung und Dokumentation bediente sich R. K. einer sehr einfachen Methode des "Kopierens".
Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass trotz mangelnder "Aufnahmetechnik" heute noch einzelne Blätter existieren, auf denen die filigrane Ausarbeitung der Motive erkennbar ist. (Zum Vergrößern bitte anklicken.)
Die Arbeiten "Lebensalter" (nach einem Schattenbild von O. Kubel) und "Trauerweide" waren unverkäuflich und sind bis heute in Familienbesitz.
Obwohl auch einzelne Werke auf dem Gebiet der Malerei nachweisbar sind, galt seine große Leidenschaft dem dreidimensionalen Gestalten, wobei sein bevorzugtes Werkzeug das Schnitzmesser war. Auch kleinere Plastiken aus Ton wurden von ihm hergestellt, doch es war immer wieder das Schnitzen, das ihn faszinierte. Selbst widrige Umstände hielten ihn nicht davon ab, „kleine Kunstwerke“ zu schaffen. So entstand während der Kriegsgefangenschaft eine Tabakdose, nachdem er sich mit einem Stein ein Messer aus einem alten Stahlhelm angefertigt hatte. Ein Brieföffner und eine „Brosche“, hergestellt aus dem Kupfer eines Granatführungsringes, wurden von ihm ‚graviert‘ und sind ebenfalls erhalten geblieben.
Nach Versuchen mit unterschiedlichen Materialien begeisterte er sich für die Bearbeitung von Holz. Die Anzahl der von ihm geschaffenen Werke lässt sich nur noch erahnen. Die Ausübung als Gewerbe ab 1950 führte dazu, dass viele Modelle mehrfach gefertigt werden mussten, was einen starken Anstieg der Stückzahlen zur Folge hatte.
Nicht mehr alle Arbeiten konnten in seinen Aufzeichnungen einzeln erfasst oder mit Foto, Datum und Empfänger versehen werden. Lediglich die Fülle an Skizzen und Entwürfen liefert hier noch Anhaltspunkte.
1934 war er Mitbegründer des Marienberger Schnitzvereins und 1. Schnitzmeister der späteren Arbeitsgemeinschaft "Schnitzen und Basteln" in Marienberg.
Für seine Arbeiten wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er erhielt 1941 den "Staatspreis für sächsische Feierabendkunst" und wurde 1952 in Anerkennung seiner Leistungen in den "Verband Bildender Künstler" aufgenommen. Aufgrund der fehlenden akademischen Ausbildung wurde diese Migliedschaft später jedoch wieder beendet.
Unzählige private Auftragswerke, die weit über die Landesgrenzen hinaus geschickt wurden, gehörten zu seinem Schaffen. Die Palette seiner Aufträge war enorm vielfältig.
In seinen Skizzenbüchern finden sich neben zahlreichen sakralen Motiven auch Entwürfe für Lampen, Leuchter, Nussschalen, Zigarrendosen und Schachfiguren.
Die Gestaltung eines Grabmales und ein von ihm kreiertes und geschnitztes Firmenlogo sind ebenfalls nachweisbar.
Nicht selten kam es dabei vor, dass der Auftraggeber bei Erteilung des Auftrages ein Bild hinterließ mit der Maßgabe, das von ihm bestellte Stück möge doch so gearbeitet werden, dass die auf dem Foto abgebildete Person in der geschnitzten Figur erkennbar ist.
Als Vorlage für diesen Auftrag zum Beispiel dienten 2 Fotos von Günter Dietel (Erfurt).
Zu sehen sind Fred Diesko (Mephisto) und Wolfgang Dehler (Faust) in einer "Faust II" - Inszenierung von Fritz Bennewitz am "Deutschen Nationaltheater Weimar".
Die geschnitzten Figuren sollten so gestaltet sein, dass die Darsteller darin wiedererkannt werden können.
Es waren Herausforderungen seines Könnes, die er nur zu gern annahm. Selbst so bizarre Aufträge wie "Drachenmasken" oder "Postkutschen" wurden angenommen und mit Bravour zur Ausführung gebracht. Einzelne Stücke wurden gar nach Japan und in die USA versendet.
Er widmete sich außerdem der Gestaltung von Wanderpokalen, entwarf Wegweiser für die Umgebung seiner Heimat und führte bei Bedarf Restaurierung od. Instandsetzung vorhandener Objekte durch. So fertigte er z. Bsp. 1964 nicht nur ein neues Christuskind für den spätgotischen Schnitzaltar im Kirchensaal der St. Marienkirche zu Marienberg, http://st-marien-marienberg.de/geschichte/spaetgotischer-marienaltar, sondern es wurden auch Teile des Maßwerkes am Flügelaltar und abgebrochene Teile von Marias Krone von ihm ersetzt, wie seine Skizzen und Aufzeichnungen belegen.
Zahlreiche Gemeinschaftsarbeiten des Marienberger Schnitzvereins wurden nach seinen Ideen gestaltet. Nicht nur der "Märchenberg", der über viele Jahre im Marienberger Heimatmuseum zu besichtigen war, ging auf seine Anregung zurück und entstand nach seinen Entwürfen, sondern auch die große Vereinspyramide.
Vereinspyramide, 1962
Entwurf: R. Kunis
"Pionierleben", "Völkerfreundschaft" und "Winterfreuden" waren die Themen, nach denen die einzelnen Plattenteller der Pyramide gestaltet wurden.
(Die Figuren zum Thema "Pionierleben" wurden inzwischen entfernt und durch andere ersetzt.)
Auch die vom Schnitzverein geschaffene Marienberger Weihnachtspyramide entstand unter seiner Regie. Sie war eine der ersten dieser Art und weist die Besonderheit auf, dass die darauf befindlichen Figuren tatsächlich geschnitzt sind. Damit sollte die Bedeutung des Schnitzens in Marienberg hervorgehoben werden.
Das für diese Holzbearbeitung erforderliche Lindenholz war jedoch nur in begrenzten Abmessungen zu beschaffen, was die etwas eigenwillige Form der Figuren erklärt.
Die sonst allgemein üblichen Weihnachtspyramiden sind mit gedrechselten Figuren bestückt. Dabei gelten andere Materialansprüche und die größere Holzauswahl erlaubt mehr Gestaltungsmöglichkeiten.
Die Entwürfe von R. Kunis zeugen von seinem hohen Anspruch, aus dem zur Verfügung stehenden Material das Beste herauszuholen, um Figuren zu schaffen, die geschnitzt und trotz begrenzter Abmessungen der "Rohlinge" ästhetisch ansprechend geformt sind.
Am 1. Advent 1973 drehte sich erstmalig die große Weihnachtspyramide auf dem Marktplatz von Marienberg.
Es war die letzte Gemeinschaftsarbeit der Marienberger Schnitzer unter der Leitung ihres langjährigen Schnitzmeisters. Gesundheitlich schon stark angegriffen, war es der größte Wunsch von R. Kunis, die Pyramide nach ihrer Vollendung zu sehen.
Da er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in stationärer Behandlung befand, war die Zustimmung der Ärzte für einen Transport ebenso erforderlich, wie eine besondere Erlaubnis der Stadt zum Befahren des Marktplatzes mit einem Pkw.
Die Mitglieder des Schnitzvereins hatten keine Mühen gescheut. Sie stellten Anträge und beschafften die nötigen Zustimmungen und Genehmigungen.
Aus einem eigens dafür organisierten Pkw heraus, der am 14. Jan. 1974 auf den Marktplatz bis vor die Pyramide fahren durfte, konnte Rudolf Kunis schließlich das fertige Werk betrachten.
Somit war erreicht, dass sein sehnlichster Wunsch noch in Erfüllung gegangen war - nur wenige Wochen vor seinem Tod.
Rudolf Kunis war stets bestrebt, sein Wissen und Können Kindern und Jugendlichen zu vermitteln und deren Begeisterung für das Holzschnitzen zu erwecken. Bereits in den 1930er und 1940er Jahren gab er Schnitzunterricht. Die Listen seiner Schüler sind lang und zahlreich.
Dabei war sein Ziel stets, die Volkskunst im Erzgebirge zu erhalten und zu fördern.
Sein ganzes Leben und Schaffen war geprägt von der Liebe zu seiner Heimat, dem Erzgebirge im Allgemeinen und der Verbundenheit zu seiner Stadt Marienberg im Besonderen.
Stand vom: 02.07.2024